Montag, 12. Oktober 2015

Ein Jahr auf einen Blick

Liebe Leser, Spender und Freunde,



es ist sehr schwierig ein ganzes Jahr voller spannender und neuer Erfahrungen auf einem weißen Blatt Papier zusammen zu fassen, es würde wohl ein ganzes Buch entstehen. Dennoch will ich versuchen mich kurz zu halten und mein Jahr in Uruguay noch einmal Revue passieren lassen.
Als ich vor gut einem Jahr mit Sack und Pack am Flughafen stand und den ersten Schritt wagte, wurde mir doch sehr mulmig zumute. Vor ein paar Wochen wirkte der Abschied von Zuhause noch so irreal und weit weg, doch jetzt musste ich meinen Weg ganz alleine gehen. Nach tränenreichem Abschied begann ich mit meinem 18 Stunden langen Flug einen neuen, und wie ich bald merkte, wichtigen Lebensabschnitt. Mein Flieger ging in Richtung Südamerika und landete schließlich im kleinen Uruguay, an der Grenze zu Argentinien und Brasilien. Ich hatte mich zuvor bei den Freunden der Erziehungskunst Rudolf Steiners für ein Freiwilliges Jahr im Ausland beworben. So bin ich auf das „Colegio Rudolf Steiner“ in Uruguay gestoßen. Es handelte sich dabei um eine kleine Einrichtung mit zwei Grundschulklassen, zwei Kindergartengruppen und einer Kinderkrippe.                                                                    
Kaputt und müde von den Strapazen des langen Fluges, schmuggelte ich mich schließlich durch die Sicherheitskontrollen des uruguayischen Flughafens. Da stand schon mein kleines Empfangskomitee, bestehend aus zwei Lehrerinnen der Schule. Sofort wurde ich von fröhlichem Geplapper begrüßt, welches mir sehr spanisch vorkam. Circa eine Stunde warteten wir gemeinsam auf den Flieger meiner Mitfreiwilligen. Verzweifelt bemühten sich die Beiden ein Gespräch aufrecht zu erhalten, doch ich war viel zu müde, um mich auf das uruguayische Spanisch konzentrieren zu können. So war ich heilfroh, meine Mitfreiwillige wiederzusehen um endlich verstanden zu werden.
Für das erste halbe Jahr wohnten wir zusammen bei einer der beiden Lehrerinnen, in einem kleinen Zimmer, denn die Einrichtung hatte noch keine Unterkünfte gefunden. Unser Mitfreiwilliger wohnte in einem kleinen Zimmer in der Schule.                                                                                                                              
Für mich lag hier schon einmal die erste Herausforderung. Da ich von der Welt bisher noch kaum etwas zu Gesicht bekommen hatte, kannte ich auch die Umstände und Lebensverhältnisse in solch einem Land nicht. Natürlich erfährt man durch Medien tagtäglich, wie es in anderen Ländern aussieht, doch es ist etwas ganz anderes dies hautnah mitzuerleben. Mit meinem behüteten, sauberen, warmen und trockenen Heim Zuhause konnte ich meine neue Unterkunft keinesfalls vergleichen. Aber auch das wollte ich kennenlernen, um noch mehr wertschätzen zu können, wie gut es mir bisher ging.
Bei einem Begrüßungsasado  mit unserer „Betreuerin“, also derjenigen Person die das ganze Jahr über Ansprechpartnerin und Koordinatorin für uns war, wurden wir bereits wortwörtlich auf Herz und Niere geprüft. So musste dann auch einmal ein gefüllter Darm probiert werden. Auch wenn vielleicht nicht immer nachvollzogen werden konnte, so haben die Uruguayer doch akzeptiert, wenn man Vegetarier war oder das Fleisch einfach nicht mochte.                                                                          
Ein paar Tage später wurde uns dann endlich das Colegio vorgestellt. Die Kinder und Lehrer erwarteten uns schon neugierig. Da es bei der Verständigung noch haperte, konnten wir die ersten Wochen meist nur mitlaufen und alles kennenlernen. Nach und nach haben wir dann alle unsere Aufgaben gefunden.
Ein ganz normaler Arbeitstag sah im ersten halben Jahr so aus: Jeden Morgen fuhr ich mit einem geliehenen Fahrrad bergauf und bergab, bei rasendem Verkehr zur Schule. Mit einem Gesicht, welches besonders im Sommer eher einer Tomate ähnelte, trat ich durch das hölzerne Tor.
Dort erwarteten mich schon freudestrahlend, vielleicht war es aber auch eher Belustigung, die ersten Kinder.  Die Lehrer und Erzieher trafen sich, bevor der Tag begann, immer zu einer kleinen Morgenrunde im salón grande (großer Saal). In der Zwischenzeit durfte ich auf all die Kinder aufpassen, deren Eltern früh zur Arbeit gingen. Gerade im Winter habe ich mir einiges an Beschäftigung überlegen müssen, denn da konnten wir uns morgens nur in der geheizten cabaña (Hütte) aufhalten. Anschließend sind wir zusammen im Gänsemarsch zu den einzelnen Räumen gegangen, haben die Straßenschuhe aus und die Pantoffeln angezogen. War jedes Kind an Ort und Stelle, half ich je nach Wochentag vormittags im maternal (der Kinderkrippe), erledigte Einkäufe oder beschäftigte mich mit Instandarbeiten. Nach meiner Mittagspause kümmerte ich mich mit einer Erzieherin um die Kindergartenkinder, die auch den Nachmittag noch da blieben. So wurde gegessen, geschlafen oder geruht und vor allem ganz viel gespielt. Oft wusch ich in freien Minuten das benutzte Geschirr. Wenn ich nicht gerade einen Streit schlichten musste, mit den Kindern spielte oder aufräumte, setzte ich mich gerne mit der Erzieherin zusammen. Gemeinsam nahmen wir uns dann Handarbeiten vor und konnten uns dabei  gut unterhalten.
Mein erstes halbes Jahr endete leider recht tragisch. Ich erlitt bei Nacht einen Fahrradunfall und saß  etwa einen Monat mit dickem, verstauchten Fuß Zuhause. Über das ganze Jahr gesehen war diese Zeit wohl die schwierigste und nervenaufreibendste. Gelangweilt und bereits leicht depressiv saß ich Tag für Tag auf dem Sofa und starrte Löcher in die Luft. Bis ich endlich meine Krücken hatte, vergingen wohl zwei Monate. Dieses Phänomen zeigte sich immer wieder bei den Uruguayern. Alles dauerte länger, vieles wurde vergessen, alles ganz „easy“ und mit Gemach gesehen.                                                  
Das kann einerseits nicht schlecht, doch bei dringenden Angelegenheiten auch sehr nervig sein.
Als ich wieder einigermaßen fit war begannen schon die langen Sommerferien. Ganz überraschend mussten meine Mitfreiwillige und ich uns noch vorher eine neue Bleibe suchen. Die Lehrerin, welche uns bei sich wohnen ließ, hatte mit der Einrichtung schon im Voraus besprochen ihr Zimmer nur als Notlösung anzubieten. Auch hier zeigte sich mal wieder die uruguayische Mentalität. Zuerst waren alle ganz überrascht von dieser „Neuigkeit“ zu hören, doch es werde sich schon etwas finden.  Da ich jedoch mit meinem Fuß nicht in irgendeinem Klassenzimmer schlafen wollte, so wie es meine Mitfreiwillige übergangsweise tat, fand ich schließlich per Aushang an der Pinnwand eine Gastfamilie. Hier zeigt sich die andere Seite der Uruguayer. Spontan, flexibel und sehr hilfsbereit. So zog ich kurzerhand mit all meinem Gerümpel in das nette, kleine Reihenhaus zu der vierköpfigen Familie.
Im Wissen gut und sicher aufgehoben zu sein, ging es für mich auch schon nach Buenos Aires. Dort fand zunächst das Zwischenseminar der „Freunde“ statt. Anschließend begab ich mich alleine und auf eigene Faust auf eine kleine Reise innerhalb Argentiniens. Mehr schlecht als recht besichtigte ich humpelnd erst Córdoba, dann das wunderschöne Bariloche. Zum Schluss machte ich noch einen Abstecher auf die Choza, der Farm nahe Buenos Aires. Glücklich und zufrieden wieder einmal in Gesellschaft zu sein, kehrte ich nach Uruguay zurück.
Eine Woche später begannen bereits die ersten Arbeiten in der Schule. Da die anderen beiden Freiwillen von ihrer Reise noch nicht wieder zurück waren und die Lehrer erst später kamen, kümmerte ich mich zunächst alleine um die Vorbereitungen für den Schulanfang. So musste der Garten gejätet, die Mauer gekalkt, Möbel geschmirgelt und gestrichen werden. Zusammen mit den anderen beiden erledigte ich auch Renovierungsarbeiten. Da die Luftfeuchtigkeit sehr hoch in diesem Land ist, sind die ganzen Wände feucht geworden.
Mit Spachtel und Hammer mussten wir also den feuchten Putz von den Wänden klopfen. Nachdem alles wieder verputzt war halfen wir beim Streichen und Bemalen der einzelnen Räume.
Vieles änderte sich in dem Colegio. Leider musste die Kinderkrippe geschlossen werden. Dafür kamen jedoch zwei Schulklassen hinzu und auch die beiden Kindergartengruppen gewannen an neuen Schützlingen. So kamen auch in meinem letzten halben Jahr andere Aufgaben auf mich zu.                          
Endlich konnte ich mehr in die Schulklassen, zwar mehr hospitierend, doch auch ab und zu übernahm ich auch kleinere Aufgaben wie zum Beispiel das Durchführen von Vertretungsstunden.             
Mittags kümmerte ich mich von nun an um das Erwärmen der mitgebrachten Speisen und nach der Pause begleitete ich wie gewohnt die Nachmittagsbetreuung im Kindergarten.                                       


Für die letzte Zeit überlegte ich mir auch noch ein kleines Projekt. Auf dem Schulgelände entdeckten wir einen schönen Steinofen, unbenutzt und in Vergessenheit geraten. Da kam mir die Idee für die große Pause in der Schule zu backen. Bisher wurde von den Kindern immer abwechselnd etwas zu Essen mitgebracht. Oft bestand dieses aber aus dem typischen Weißbrot oder Baguette mit Marmelade. Viel schöner wäre doch, die Kinder würden miterleben wie aus Getreide Mehl wird und schließlich aus dem Mehl Brot. Nach einer Probebackwoche, wurde meine Idee begeistert angenommen. Zusammen mit meiner Mitfreiwilligen versorgten wir also zwei Klassen dreimal die Woche mit selbstgebackenem Brot. Zum Abschied am Ende meines Jahres, backten die Kinder mir Brötchen und formten einen deutschen Satz: Wir haben dich gern.
Und so neigte sich mein Jahr in Uruguay dem Ende zu. So schwierig wie das Ankommen für mich war, so schwierig war auch der Abschied. Da meine Eltern die letzten Wochen noch  zu Besuch kamen und mit mir zusammen in Argentinien reisten, wurde ich schon etwas auf die deutsche Kultur vorbereitet. Wieder in Deutschland angekommen, viel mir die Eingewöhnung wider Erwartens doch sehr schwer. Erst jetzt wurde mir deutlich wie sehr ich mich verändert hatte. Ich sah die deutschen Verhältnisse aus einer ganz anderen Sichtweise. Viele Dinge die ich vorher dachte zu benötigen, kamen mir im Nachhinein so unnötig und überflüssig vor. Nun, nach etwa einem Monat, fühle ich mich in dieser Luxuswelt wieder etwas wohler. Uruguay mit seinen Menschen vermisse ich jedoch immer noch sehr. Für mich steht fest: Eines Tages werde ich zurückkommen in das Land, das mir so viel gegeben hat.  

Hiermit danke ich noch einmal von ganzem Herzen, allen lieben Menschen, die mich während meines Jahres in Uruguay auf so unterschiedlichste Weise unterstützt haben. Ohne euch, wäre mir diese tolle Erfahrung verwehrt geblieben. Danke, danke, danke!

Eure Minousch.